Lupe als Metapher

Prozessanalyse im Change

„Examine and Challenge the Status Quo“ - Prozessanalyse in Veränderungsvorhaben

Geschätzte Lesedauer 10 min
Worum geht es in diesem Artikel?

Optimierungsprojekte scheitern häufig daran, dass der Fokus einseitig auf die Gestaltung verbesserter Prozesse gelegt wird und die beteiligten Menschen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Umgekehrt ist der Erfolg von Change- oder Transformationsvorhaben in großem Maße davon abhängig, dass die prozessualen Rahmenbedingungen den angestrebten Wandel zulassen bzw. bestmöglich begünstigen.

Ein wichtiges Tool, um diese Rahmenbedingungen aufdecken, berücksichtigen oder optimieren zu können, ist die Prozessanalyse. In diesem Artikel wird beschrieben, in welchen Situationen sie eingesetzt wird, wie konkret sie abläuft und was dabei zu beachten ist.

Veränderungsvorhaben und ihr Einfluss auf Organisationsprozesse

Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass stetige Verbesserung und Weiterentwicklung notwendig sind, um als Organisation wettbewerbsfähig zu bleiben. Dementsprechend finden Veränderungsvorhaben auf den verschiedensten Ebenen statt. Ein wichtiges Werkzeug, um bestehende prozessuale Rahmenbedingungen zu verstehen und sichtbar zu machen, ist die Prozessanalyse.

Je nach Zielsetzung und Kontext - einige möglichen Szenarien werden in den folgenden Abschnitten beschrieben - liefert die Prozessanalyse differenzierte Erkenntnisse, die Organisationen als eine wertvolle Entscheidungsgrundlage für notwendige Maßnahmen oder Anpassungen des gesamthaften Veränderungsvorhabens dienen.

Mitarbeiter:innen bei der Prozessanalyse

1) Gezielte Effizienzsteigerung in bestehenden Strukturen

Wechselnde Prozessergebnisse, eine hohe Nachbereitungsquote durch schlechte Qualität, Doppelarbeit oder Unzufriedenheit bei Prozessbeteiligten können Anzeichen für eine notwendige Veränderung sein. Die Prozessanalyse hilft bei der Identifikation der (Schnitt-) Stellen oder Prozessschritte, an welchen die Veränderung angesetzt werden muss, um eine Effizienzsteigerung zu erzielen.

Mitarbeiter:innen bei der Prozessanalyse

2) Optimierung nach umfassenden organisationalen Veränderungen

Nach einer größeren organisationalen Veränderung treten häufig neue Herausforderungen in der Zusammenarbeit auf. Einzelprozesse oder Verantwortlichkeiten wurden gegebenenfalls im Zuge der Veränderung nicht angepasst und widersprechen im Zweifelsfall sogar dem Ziel des übergeordneten Veränderungsvorhabens. Nicht nur die Prozesse, die unmittelbar von der Veränderung betroffen waren, müssen für eine Anpassung oder Verbesserung in Betracht gezogen werden. Auch angrenzende oder systemisch betroffene Abläufe werden berücksichtigt und analysiert. Die Prozessanalyse liefert hier Anhaltspunkte, welche Prozesse Einfluss auf den zu verändernden Zustand haben.

Mitarbeiter:innen bei der Prozessanalyse

3) Struktur-basierte Reorganisation

Ist die Zielstruktur der Reorganisation bereits festgelegt, deckt die Prozessanalyse mögliche prozessuale Hindernisse oder Risikofaktoren auf, die eine Veränderung scheitern lassen können. Somit kann ein besonderer Fokus auf die am kritischsten bewerteten Abläufe gelegt und prozessuale Rahmenbedingungen im Sinne der Veränderung angepasst werden. Mithilfe der Prozessanalyse wird die Grundausrichtung der Abläufe mit dem Zielbild abgeglichen, während gleichzeitig zwangsläufige Zusammenführungen bestehender Prozesse, neu entstehende Schnittstellen und verbundene Risiken identifiziert werden.

Mitarbeiter:innen bei der Prozessanalyse

4) Wertstrom-basierte Reorganisation

Wird eine Reorganisation an dem Wertstrom ausgerichtet, passt sich die Aufbauorganisation an die Ablauforganisation an, das heißt die Struktur folgt und stützt den Prozess. Häufig ist diese Herangehensweise – die oftmals zeitaufwändiger als die Struktur-basierte Reorganisation ist – jedoch nachhaltiger und zielgerichteter. Als Basis für die Planung der Reorganisation, kann mithilfe der Prozessanalyse der Wertstrom einer Organisation identifiziert werden. Dabei werden neben allen wertschöpfenden Geschäftsprozessen auch die notwendigen nicht-wertschöpfenden Aktivitäten berücksichtigt und in die strategische Ausrichtung eingebunden.

Was ist Prozessanalyse und über welche Prozesse sprechen wir?

Die Prozessanalyse dient dazu, das Bestehende zu verstehen. Das bedeutet konkret, Abläufe in ihre Einzelteile zu zerlegen, um Transparenz für den Prozess zu erhalten:

  • Wie sehen die einzelnen Prozessschritte genau aus?
  • Wer trägt die Verantwortung?
  • Wie greift ein Prozessschritt in den nächsten?
  • Wie sind Schnittstellen, Input und Output konkret definiert?
  • Wie werden die Prozessschritte durch IT unterstützt und ist diese Unterstützung durchgängig?
  • Ist der Prozess End-2-End gedacht und an den Kund:innen orientiert?

Sind Antworten auf diese Fragen gefunden, gibt das in vielen Fällen bereits Hinweise auf das Optimierungspotenzial. Je nach Ziel des Veränderungsvorhabens sind Prozesse auf der entsprechenden Ebene zu betrachten. Finden Veränderungen auf einer operativen Ebene statt, werden Prozesse auf der Ablaufebene analysiert (Ausformulierung konkreter Arbeitsabläufe).

Ist eine Verbesserung auf Organisationsebene angestrebt, ist es sinnvoll, die Prozessstrukturebenen und damit Interdependenzen unterschiedlicher Prozesse (Steuerungsprozesse, Kernprozesse, Unterstützungsprozesse) zu analysieren.

Die vier Schritte einer Prozessanalyse
Was sind die wesentlichen Elemente der Prozessanalyse?

Unabhängig davon, welche Ebene untersucht werden soll: Im Rahmen einer Prozessanalyse werden vier Schritte durchlaufen, die in der untenstehenden Grafik näher beschrieben werden.

Die Prozessanalyse gibt Einsicht darüber, welche Hindernisse zur Erreichung des Zielbildes überwunden werden müssen, beziehungsweise worauf im Zuge des Veränderungsvorhabens besonders geachtet werden sollte. Der Fokus der Maßnahmen liegt auf der operativen Ebene darauf, Abläufe um konkrete Prozessschritte zu erweitern, Verantwortlichkeiten schärfer zu definieren oder Input und Output stimmig zu gestalten (beispielsweise durch Schnittstellengespräche oder Rollendefinitionen).

Werden durch die Analyse größere Herausforderungen identifiziert kann sich eine völlige Neugestaltung eines Prozesses als notwendig erweisen. Es empfiehlt sich, Prüfpunkte einzustellen, um Wirksamkeit und Anwendbarkeit zu untersuchen. Als letzte, aber nicht auszuschließende Option, wird das gesamte Veränderungsvorhaben nochmals auf seine Zielwirksamkeit untersucht und gegebenenfalls angepasst.

Die vier Schritte einer Prozessanalyse

Worauf zu achten ist?

Wie bei allen Veränderungsvorhaben ist auch bei der Prozessanalyse elementar, die Mitarbeitenden einzubeziehen, die direkt involviert sind. Durch die Expertise und den Erfahrungsschatz der direkt an den Prozessen Beteiligten ist es möglich, die tatsächlichen Hindernisse und Herausforderungen aufzudecken und Potentiale zu identifizieren, die nachhaltig wirkungsvoll für die Organisation sind.

Je größer die Organisation, je höher die Prozessebene und je umfangreicher die Veränderung, desto mehr Personen müssen in die Erstellung der Prozessanalyse einbezogen werden. Wird bei der Erarbeitung an Personal oder Expertise gespart, wirkt sich das direkt auf die Qualität des Ergebnisses und somit den Wirkungsgrad der Prozessanalyse aus.

Warum die Prozessanalyse immer relevanter wird?

Werfen wir einen Blick auf mittelständische und große Organisationen, sind häufig komplexe und historisch gewachsene Strukturen erkennbar. Getrieben von Globalisierung und Digitalisierung bleibt oftmals nicht die notwendige Zeit, Prozesse, Strukturen und Rollen regelmäßig zu prüfen oder an neue Anforderungen anzupassen.

Hinzu kommt eine immer stärker werdende Automatisierung. Systemische Prozessschritte, das heißt nicht sichtbare Abläufe, die ohne menschlichen Einfluss oder Personenzuordnung stattfinden, erschweren die Nachvollziehbarkeit. Obwohl durch die Automatisierung bestimmter Prozessschritte Fehlerquellen reduziert werden können, erfordert der Zuwachs an Informationsflüssen neue Kompetenzen bei den Mitarbeitenden, welche nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Hier unterstützen Prozesstools wie Process Mining dabei, datenbasierte Prozesse automatisiert auszulesen, um eine objektive Basis für Optimierung oder sogar bereits Verbesserungsvorschläge zu erhalten.

Und auch die generelle Ausrichtung der Organisationen hat sich gewandelt. Während zur Zeit des Taylorismus der Markt stark produktgetrieben war, richtet er sich jetzt vor allen an den Kund:innen aus. Organisationen müssen sich unbekannten Herausforderungen stellen: Das heißt Entwicklungsschleifen drastisch verkürzen, um reaktionsfähig zu bleiben sowie Abläufe tatsächlich kundenorientiert aufsetzen: Wozu gibt es diesen Prozess, zahlt er auf den Kundennutzen ein und erfüllt er seinen Zweck?. Erwartungen an die Mitarbeitenden beinhalten eine höhere Eigenverantwortung. Anstatt des kleinen abgesteckten Aufgabengebietes, wird das Übernehmen einer übergreifenden Verantwortung sowie vernetztes Denken gefordert. Insbesondere in agilen Organisationstrukturen ist allerdings eine klare Abstimmung der Verantwortungsbereiche und Schnittstellen notwendig, um sogenanntes Empowerment und gleichzeitig eine reibungslos ineinandergreifende Zusammenarbeit der Mitarbeitenden zu ermöglichen.

 

Fazit

Die Prozessanalyse ermöglicht Transparenz und Verständnis über Tätigkeiten, Verantwortungen und Schnittstellen. Sie schafft Bewusstsein für Optimierungspotenziale wie auch strukturelle Anpassungsbedarfe einer Organisation. Gerade da in größeren Veränderungsvorhaben viele menschliche und unterbewusste Vorgänge vor sich gehen, lässt sich mit Hilfe der Prozessanalyse eine Sachlichkeit von Zustand und Abläufen herstellen, über die es sich objektiv und lösungsorientiert sprechen lässt. Jedoch gehört natürlich – wie bei jeder Veränderung – Fingerspitzengefühl dazu, um zu erkennen, was die Prozessteilbeteiligten neben der Prozessanalyse auf ganz individueller Ebene noch berührt. Denn im Zentrum jeglicher Veränderung steht immer der Mensch, der den Erfolg ermöglicht.

Dieser Artikel erschien in der 09 Winter 2021 Ausgabe der Fachzeitschrift changement!

Sie haben noch Fragen zum Thema?
Kontaktieren Sie uns gerne!
Sonja Neubauer - LEITWERK Consulting
Ihre Ansprechpartnerin
Sonja Neubauer
+49 89 189 235 96
... oder schreiben Sie uns über unser Kontaktformular
Kontakt aufnehmen
Suche